(© Melanie Vogel) Wertschöpfung. Wohlstandsschaffung. Diese Worte klingen kraftvoll und vielleicht denken wir dabei an Finanzen, Innovation oder Kreativität. Aber wer oder was sind die wahren Wertschöpfer? Und: Wenn wir von „Wertschöpfung“ sprechen, implizieren wir damit automatisch, dass einige Menschen keinen Wert schaffen? Wenn ja, wer sind dann diese Couchpotatoes? Die Wertezerstörer? Oder diejenigen, die nur Werte abschöpfen? Um diese Fragen zu beantworten, benötigen wir eine fundierte Theorie des Wertes. Als Gesellschaft haben wir auf diesem Gebiet den roten Faden des Dialogs und der kritischen Auseinandersetzung aktuell längst verloren.
Warum die Unterscheidung zwischen Wertschöpfung und Wertabschöpfung wichtig ist
Dazu wäre zunächst eine klare Unterscheidung zwischen Wertschöpfung und Wertabschöpfung notwendig. Ein Beispiel: 2009, kurz nach der globalen Finanzkrise, behauptete der CEO von Goldman Sachs, die Mitarbeiter seiner Bank seien die produktivsten der Welt. Doch diese Aussage wirft Fragen auf. Die Finanzkrise, ausgelöst durch risikobehaftete Finanzprodukte, hatte Millionen von Arbeitsplätzen und Häusern zerstört und erforderte milliardenschwere staatliche Rettungspakete. Was daran war wertschöpfend? Oder beruhte der Auslöser der Finanzkrise 2008 nicht eher auf wertabschöpfenden Handlungen? Die Aussage des CEO von Goldman Sachs wurde damals kaum hinterfragt. Ein Zeichen dafür, wie wenig wir den Begriff „Wert“ kritisch reflektieren.
Eine Reise in die Vergangenheit der Wirtschaftstheorie
Vor gut 300 Jahren noch stand die Landwirtschaft im Mittelpunkt der Wertschöpfung. Damals wurde die Gesellschaft in drei Klassen unterteilt: die „produktive Klasse“ der Bauern, die proprietäre Klasse der Händler und die der Landbesitzer, die lediglich Gebühren für die Landnutzung erhoben. Sie betonten damals, wie wichtig es sei, Gewinne wieder in die Produktion zu investieren, um das System am Laufen zu halten.
Mit der Industrialisierung verlagerte sich der Fokus auf industrielle Arbeit. Ökonomen wie Adam Smith oder Frederick Taylor sahen den Schlüssel zur Wertschöpfung in der Arbeitsteilung und der industriellen Produktion. Doch auch sie warnten davor, dass ein Ungleichgewicht – wie übermäßige Ausgaben für unproduktive Aktivitäten – die Produktionsfähigkeit der Wirtschaft gefährden könnte.
Der Wandel zur modernen Wirtschaftstheorie
Mit dem Aufkommen der neoklassischen Wirtschaftstheorie verlagerte sich der Fokus von objektiven Bedingungen der Wertschöpfung hin zu subjektiven Entscheidungen. Individuen werden heute als Akteure dargestellt, die Nutzen maximieren, während Märkte durch Angebot und Nachfrage den Wert bestimmen. Dieser Paradigmenwechsel führte dazu, dass Wert heute oft nur durch Preise und Profite definiert wird – ein Ansatz, der problematisch ist.
Wie diese Veränderung die Wirtschaft beeinflusst
Die Art und Weise, wie wir Wert messen, hat erhebliche Konsequenzen. So wird beispielsweise in der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nur berücksichtigt, was einen Preis hat. Aktivitäten wie unbezahlte Pflegearbeit bleiben unberücksichtigt, während Umweltverschmutzung das BIP steigern, da für deren Beseitigung bezahlt werden muss. Auch der Finanzsektor wurde bis in die 1970er Jahre kaum ins BIP einbezogen. Erst mit wachsendem Einfluss von Banken und Finanzprodukten wurde dieser Bereich als „finanzielle Vermittlung“ kategorisiert – ohne kritisch zu hinterfragen, wie viel tatsächlicher Wert hier geschaffen wird.
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Reinvestition von Gewinnen in die Realwirtschaft. Viele Unternehmen verwenden ihre Gewinne für Aktienrückkäufe statt für Forschung, Entwicklung oder Ausbildung. Dies hat langfristige Auswirkungen auf Innovation, Beschäftigung und Wirtschaftswachstum.
Warum wir Wertschöpfung neu denken müssen
Die Krise im Finanzsektor und die aktuellen Herausforderungen der Wirtschaft zeigen, dass wir eine neue Definition von Wert benötigen. Es reicht nicht aus, bestehende Messgrößen wie das BIP durch zusätzliche Indikatoren wie Glück oder Wohlbefinden zu erweitern. Stattdessen müssen wir uns fragen: Was bedeutet Wertschöpfung wirklich? Und wo wird tatsächlich Wert abgeschöpft?
Diese Fragen müssen unternehmerisch aber auch gesellschaftlich in einer kritischen Auseinandersetzung geklärt werden, wenn wir – insbesondere in Deutschland – aus dem wirtschaftlichen Tal der Tränen herausfinden wollen.
Fazit
Wert ist mehr als der Preis, den wir für ein Produkt oder eine Dienstleistung zahlen. Er entsteht durch Investitionen in Menschen, Innovationen und eine produktive Gesellschaft, in der Arbeit einen Wert hat, den es sich für jeden Einzelnen lohnt, zu erzielen. Es ist Zeit, die Art und Weise, wie wir Wert messen und steuern, neu zu überdenken – nicht nur, um die Wirtschaft anzukurbeln, sondern um eine wertschöpfende Zukunft zu kreieren.