(© Melanie Vogel) 2016 veröffentlichte ich mein erstes Buch mit dem Titel „Futability®“. Futability® ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den englischen Wörtern „Future” (= Zukunft) und „Ability” (= Fähigkeit, Befähigung). Futability® ist die Fähigkeit, den Veränderungen und Herausforderungen der Zukunft pro-aktiv, flexibel und reflektiert begegnen zu können. Der Mensch als kreativer Gestalter und das Unternehmen als fluide, veränderbare und sich verändernde Organisation stehen dabei im Vordergrund. Und das ist auch acht Jahre nach Erscheinen des Buches wichtiger denn je.
Raus aus dem Zukunftsschock
Der Zukunftsforscher Alvin Toffler prägte 1965 in der amerikanischen Zeitschrift Horizon den Ausdruck „Zukunftsschock” und verstand darunter „die erdrückende Belastung und vollkommene Desorientierung von Menschen, die in zu kurzer Zeit zu viele Veränderungen durchmachen müssen”. Nicht die Veränderung selbst löst seiner Meinung nach den Schock aus, sondern die Schnelligkeit, mit der sie sich vollzieht.
1965 waren wir vom digitalen Zeitalter noch weit entfernt, heute sind wir mitten drin und stellen fest: Die Anpassung an die Schnelligkeit, mit der sich unsere Welt verändert, fällt schwer. Es ist vermutlich kein Wunder, dass 50 Jahre nach Tofflers „Zukunftsschock“ die Krankenstände und Fehlzeiten auf einem Rekordhoch sind. Der dadurch entstehende Produktivitätsverlust ist immens.
Dazu ein paar Zahlen aus dem aktuellen AXA Mental Health Report – nur einer von vielen Studien der letzten Monate, die das aktuelle Gesundheitsdesaster offenbaren:
31 % der Deutschen geben an, psychisch krank zu sein.
Bei den unter 25-Jährigen – der Generation Z – sind es sogar 41 %.
49 % der Frauen geben an, in keiner guten Verfassung zu sein.
Nur eine Minderheit von 42 Prozent der Deutschen blickt insgesamt optimistisch in die Zukunft. Unter den 18- bis 24-Jährigen sind es sogar nur 39 Prozent
Über alle Altersgruppen hinweg haben Arbeitnehmer weniger Kraft. Jeder zweite (49,4 Prozent) gibt an, weniger Kraft zu haben als noch vor drei Jahren. Jeder dritten berufstätigen Person fehlt die Energie für die tägliche Arbeit. Das ergab eine Studie, die im Januar 2024 bei capital.de veröffentlicht wurde. Und es geht noch weiter:
Steigerung der Krankheitstage auf 126 Millionen im Jahr 2023 (Ärzteblatt)
50%-ige Steigerung der Arbeitsunfähigkeitstage durch Burnout (AOK)
61% leiden unter Arbeitsbelastung durch zu wenig Personal (IW Köln, 2023)
31% haben Angst, ihre Aufgaben nicht erfüllen zu können (IW Köln, 2023)
58% müssen bei ihrer Arbeit auf die notwendige Sorgfalt verzichten (IW Köln)
86% leiden sehr oft oder oft unter Zeitdruck (DGB)
65% beklagen sich über Konflikte mit Kollegen oder Kunden (DGB)
Kranke oder ängstliche Mitarbeiter führen zu kranken Unternehmen – und umgekehrt. In einer Zeit, in der Künstliche Intelligenzen immer mehr Arbeitsbereich des Menschen übernehmen, werden Kreativität, Empathie und Innovationskraft stärker als bisher über den Erfolg eines Unternehmens entscheiden. Eine gesunde Belegschaft ist der Wertschöpfungsfaktor #1, denn nur gesunde Menschen sind wirklich produktiv und kreativ.
50 Jahre nach Alvin Tofflers „Zukunftsschock“ sind wir offensichtlich nicht nur kränker, sondern unsere Welt ist auch digitalisiert und globalisiert. Veränderung ist eine alltägliche Konstante.
Wir brauchen einen gedanklichen und tatsächlichen Paradigmenwechsel.
„Ad fontes – zurück zu den Quellen!“, sagte Erasmus von Rotterdam 1511. Wir brauchen eine Renaissance der Renaissance: Wir müssen (uns selbst) wieder in den Fokus schöpferischen Handelns rücken.
Wollen wir auch in Zukunft noch wettbewerbsfähig sein, müssen wir zu pro-aktiven und reflektierten Gestaltern und zu flexiblen Positionierern unserer individuellen und unternehmerischen Stärken und Talente werden und unsere Qualitäten selbst-bewusst und kooperativ in die Gesellschaft einbringen.
Vergleichbar der Menschen im 15. Jahrhundert werden wir uns im besten Fall als Künstler von etwas Neuem begreifen, als Pioniere. In einer vollautomatisierten Welt, in einer digitalisierten Welt brauchen wir die Offenheit, unsere Weltanschauung, unsere Interessen, Werte, Wünsche, Visionen und Bedürfnisse zu überdenken und sie wieder in den Mittelpunkt unserer Schaffenskraft zu rücken. Insuläres Expertenwissen wird nach wie vor gefragt sein, aber der insulär arbeitende Experte wird zunehmend weniger gebraucht, denn die zukünftige Arbeitswelt steht ganz im Zeichen des kooperativen miteinander Arbeitens.
Wir brauchen eine gedankliche Wandlungskompetenz und genügend Freigeist, um uns mit sehr interessanten Fragestellungen auseinander zu setzen wie z.B.
Wer wird zukünftig das letzte Wort haben: die KI oder der Mensch?
Wer darf kann oder muss in Gefahrensituationen entscheiden, KI oder Mensch?
Kann eine KI zur Führungskraft werden?
Welchen Wert hat zukünftig die Arbeitskraft von Menschen, wenn die KI mehr und mehr Routinetätigkeiten übernehmen kann?
Werden wir uns in Zukunft überhaupt noch durch Arbeit definieren? Wenn ja, welche Arbeit wird das sein?